Geburt und Sterben sind wohl die deutlichsten Formen des Wandels. Eine Zustandsform vergeht und eine neue Form entsteht. Unsere Sinne sind begrenzt und wir lernen eher objektbezogen und in Kategorien zu denken, wir lernen uns an Normen anzupassen.
Viele Formen des Wandels sind dadurch für uns Menschen fremd, kaum zu erkennen und noch weniger zu verstehen. Werden und Vergehen geschieht meist im Verborgenen. Unsere Beobachtungsgabe und sogar die bisherigen technischen Hilfsmittel versagen, wenn wir diese Übergänge erforschen, erklären und verstehen wollen. Vergänglichkeit ist nicht berechenbar und ängstigt.
Früher hatten die Menschen Angst vor Gewitter, weil sie sich die Phänomene der Atmosphäre nicht erklären konnten, sie glaubten, es seien Götter am Werk. Heute verfallen Menschen in Angst und Schrecken, wenn sich funktionierende Systeme verändern, wenn sich die Natur gegenüber den übermäßigen menschlichen Eingriffen wehrt. Es macht Angst, wenn sich bisherige Vorstellungen und bisheriges Wissen als unwahr erweisen. Menschen reagieren mit Zurückhaltung bei neuen Entdeckungen, neuen Erkrankungen, neuen politischen Konstellationen, bei neuen Entwicklungen und Zusammenbrüchen von scheinbar Bewährtem.
Um dieser Unsicherheit des Wandels nicht zu begegnen, versuchen Religionen, Staaten, Parteien, Organisationen, Familien und Einzelpersonen dem Wandel mit Macht eine Form menschlicher Beharrlichkeit entgegen zu setzen: mit Tradition, Konvention, Gesetze, Statik. Die meisten Menschen glauben, wenn wir alles belassen wie es immer war, dann brauchen wir die Angst vor Veränderung nicht auszuhalten. Wie schwachsinnig sind diese Thesen.
Stellen Sie sich vor, eine Mutter würde nicht ertragen, dass ihr Kind größer wird, und steckte es in zu kleine Kleider. Oder eine andere könnte es nicht abwarten, bis ihr Kind groß ist und kleidete das Baby in viel zu große Kleider, stellte ihm Aufgaben, die es nicht lösen kann. Bei diesen Beispielen zeigt sich ganz klar, wie unsinnig es ist, sich dem Wandel durch eigene Vorstellungen zu widersetzen.
Warum verhalten wir uns in der Wirtschaft, der Medizin, in religiösen Vorstellungen und im sozialen Leben so? Warum halten wir Kranke, die sterben möchten am Leben und helfen anderen nicht, wenn sie im Kriegsgebiet leben oder im Meer zu ertrinken drohen? Warum verbieten wir Menschen zu heiraten und zwingen andere in Gewaltbeziehungen, die sie nicht wollen? Warum züchten wir Kühe, die übermäßig Milch geben müssen und zwingen Früchte mit Dünger zum schnelleren Wachstum? Warum ernten wir unreife Früchte, vernichten die organisch gewachsene Natur, die Pflanzen und Tiere, um statt dessen Welt- und Geldmärkte, Waffenparks, Ölbohrinseln und Roboter zu erschaffen? Glauben wir wirklich, die Welt als Menschen regieren zu können, oder über den Gesetzen des Universums zu stehen? Glauben wir, den natürlichen Wandel und die natürliche Beharrlichkeit der Natur aufhalten, beschleunigen oder verlangsamen zu können?
Vielleicht lernen wir eines Tages wieder die natürliche Geschwindigkeit zu schätzen und versuchen nicht mehr, alles und jedes zu hetzen und in Norm-Gesetze zu pressen. Vielleicht lernen wir eines Tages, dass es Energien raubt, wenn wir die natürliche Ordnung vergewaltigen, nur damit sie in die einschränkenden Norm-Vorstellungen unseres menschlichen Denk- und Gefühlsapparates passt.
Ich wünsche uns allen viel Offenheit und Freude, damit wir wieder die Harmonie des natürlichen Wandels und der natürlichen Beharrlichkeit entdecken und genießen können.
Eine schöne neue Woche
Gertrud Müller
Eine schöne neue Woche
Gertrud Müller
Foto: Franziska Neufeld