Die lieben Bäume

Letzte Woche war ich durch die aktuellen Corona-Ereignisse, die so unerwartet in das öffentliche Leben eingedrungen sind, noch ganz aufgeregt. Anfangs wollte ich rebellieren, nicht anerkennen, wollte Verursacher und Ursachen dieser Katastrophe finden. Ich wehrte mich innerlich gegen die Ausgangseinschränkung und die Medienpanik, die uns verunsichert. Ich hatte Angst, allein zu sein oder meine Existenz zu verlieren. Ich bin traurig, weil ich meine Mutter im Seniorenheim nicht mehr besuchen und meine Enkelkinder nicht mehr sehen kann. Mich quält die Sorge, dass ich meine Praxis nicht mehr wie gewohnt führen kann und es bedrückt mich, wie es nach der Krise weiter gehen soll. Zu meiner  Beruhigung mache ich Sport und gehe spazieren und gehe viel zu den Bäumen, zu den lieben Bäumen, wie mein dreijähriger Enkel sagt. Und die lieben Bäume beruhigen mich. Ich bewundere diese Wesen, mit welcher Stabilität sie all den Ereignissen des Lebens standhalten. Wie sie erlauben, dass auch anderes Leben sein darf. Die Vögel dürfen sich auf Ihnen niederlassen, Spechte dürfen ihre Höhlen und Eichhörnchen ihre Kobel darauf bauen und  Moose dürfen auf der Rinde wachsen. Die Bäume schützen mit ihren Blättern die Nester und die Brutstätten von vielen Lebewesen. Diese wundervollen Bäume reinigen unsere Luft, sie stemmen ihre Wurzeln fest in den Boden, um Stabilität zu finden. Ich bewundere die Bäume, wie sie im Jahreskreislauf nicht den Mut verlieren, weder im Winter durch Schnee und Eis, noch durch Wind und Sturm und wie sie jeden Frühling wieder Blätter und Blüten hervorbringen, wie sie uns im Sommer Schatten spenden und wie sie ihre Äste zum Himmel strecken, als würden sie der Sonne und dem Himmel danken. 
Die lieben Bäume kämpfen nicht und streiten nicht, sie verursachen keine Kriege. Die lieben Bäume lassen sich nicht aus der Ruhe bringen, sie versuchen selbst nach einem Blitzschlag neue Äste zu entwickeln. Und wie wir heute wissen, helfen und schützen sie sich gegenseitig und können unser Immunsystem stärken, wenn wir uns in ihrer Nähe aufhalten. Vielleicht können wir, wie mein Enkel sagt, öfters zu den lieben Bäumen gehen und gerade in Krisenzeiten von diesen wunderbaren Wesen lernen.
Ich wünsche uns allen viel Kraft und wünsche mir, dass wir durch diese Krise lernen, einen Schritt zurück zu gehen, zu entschleunigen. Und die Tiere, die Natur und uns gegenseitig wieder mehr achten und schützen, damit diese Erde ein wunderschöner Ort für uns alle bleibt.
Eine schöne und heilsame Woche, bleiben sie gesund!
Gertrud Müller 
Photo: Silvia Tauchmann

Mauerbau

1989 jubelten und weinten wir vor Freude, endlich durften sich Menschen von Ost und West begegnen. Nie mehr sollte Ähnliches passieren. Wir glaubten verhindern zu können, dass Menschen getrennt oder entzweit werden. Und jetzt ist es ein Virus, das Familien, Staaten, uns Menschen trennt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass im freien Europa wieder Grenzen geschlossen werden würden. Es sind keine realen steinernen Mauern, die zur Zeit entstehen und errichtet werden, es sind Mauern des Schutzes, aber auch Mauern der Angst.
Die Regierung setzt wegen Seuchengefahr das Militär im Staatsinneren ein und zwingt die Menschen zur Immobilität, Versammlungen jeder Art sind unmöglich. Die Grenzen zwischen den Menschen werden spürbarer. Kein Händedruck, keine Umarmung. Selbst Kirchen können Menschen keine Zuflucht, keine Möglichkeit der Versammlung mehr bieten.
Ist das jetzt das Ende des Zusammenlebens, das wir bisher kannten? Wird es uns gelingen, das Leben durch und nach der Coronakrise zu verbessern?
Zum ersten Mal spüre ich ganz persönlich, wie sich Menschen früher im Krieg gefühlt haben müssen, als ihre Lieben bedroht waren, als Kontakte verboten oder unerwünscht waren und die eigene Meinung hinter einer Kollektivmeinung zurückstehen musste. Als ich meiner 91-jährigen Mutter zum letzten Mal zuwinken durfte, bevor sie ganz hinter den Mauern des Seniorenheimes verschwand, spürte ich, wie sich Menschen beim Mauerbau gefühlt haben durften. Werden wir uns wiedersehn?
Die momentane Entwicklung betrifft mich ganz persönlich, nicht nur wegen meiner Mutter. Ich kann auch nicht mit meiner Tochter, mit meinem Enkel und deren Familie Ostern feiern, weil sie im Ausland leben.
Es stimmt nachdenklich, dass trotz Technik und Wissenschaft die weltweiten Probleme nicht abnehmen, sondern sich eher verschlimmern und verdichten. Es ist jedoch gerade jetzt in dieser Krise wichtig, nach vorne zu schauen und das Positive und die Chancen zu sehen: die Umwelt wird sehr schnell und deutlich entlastet und kann sich erholen, eine flexiblere Arbeit und Beschulung ist möglich geworden.
Und wir müssen, dürfen und können unsere Gemeinschaft und Gesellschaft mit gestalten. Wir dürfen Zukunftsfragen stellen: Wie kann unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen? Gestalten wir aus Fürsorge unbemerkt eine weltweite Angstkultur? Gelingt es uns, aus Krisen zu lernen und respektvoller miteinander umzugehen? Gelingt es uns, eine gesunde, erfolgreiche und menschenwürdige Zukunft für uns alle zu gestalten?
Ich denke, wir können bei allem Krisenmodus ein waches Auge behalten, welche Wirkung und Nebenwirkungen diese Krise und deren Behandlungen hervorrufen.
In diesem Sinn, bleiben wir gesund und wachsam und hüten wir unsere Mitmenschlichkeit, unsere Freude und unsere Freiheit.
Eine freie und menschenwürdige neue Woche!
Gertrud Müller
Foto: Franziska Neufeld

Korona-ADE

Diese Woche stelle ich mich am Morgen wieder auf meine Waage, es tut sich nix. Ich suche nach dem Batteriefach, kaufe neue passende Batterien, tut sich immer noch nix. Vielleicht, denk ich mir, bin ich dem guten alten Stück einfach zu belastend geworden. Ich schau nochmal, ob sich nicht doch noch was reparieren lässt, ich will ja Ressourcen schonen. Da entdecke ich die Marke, das gute Ding heißt doch glatt Korona. So ein Zufall, gerade zur Coronakrise gibt meine Korona den Geist auf. Ich überlege mir, soll ich Korona wirklich reparieren? Nein, ich glaub, es ist besser für mich, Korona zu entsorgen.
Ich hab beim Neukauf jetzt genau auf die Marke geachtet. ADE heißt die Neue. Auch gut, dann heißt meine Story jetzt: Korona-ADE.
Wie sagen die Buddhisten? Alles ist vergänglich, Corona, Korona und dann ADE.
Da meine Korona jetzt entsorgt ist, hab ich beschlossen, ich stelle mich jetzt schon mal auf die Postcorona-Ära ein. Ich mach schon mal vorsorglich mein Testament (für den worst case) und mach genügend Sport, dass ich fit bin, falls ich den nächsten Halbmarathon noch erlebe. Wenn man so a Krise überleben möcht, dann scho gscheid. Und wer weiß? Vielleicht gelingt es mir tatsächlich, endlich mal die 10 Kilo abzunehmen, die ich schon lange loswerden will, damit ich meine gute neue Waage nicht mehr so belaste.
Übrigens, hier die Beweisphotos von der alten Korona, der neuen ADE und der Entsorgung.


Wenn ma in Coronazeiten scho koa Politikerderblecka mehr ham, dann müass ma uns hoid seiba was Lustigs eifoin lassn.
In diesem Sinne Korona-ADE
Gertrud Müller

Enassi

„Was  sind Enassi“? fragte Louise.
„Enassi sind Gleichmacher so wie diese“:
„Warum machen Gleichmacher alles gleich?“
„Sie haben Angst etwas wird ungleich im Reich.“
Enassi ordnen alles in Klassen und Normen
Sie ordnen alles in Gruppen und Formen
Alles gleiche muss zusammengehören.
Gleiche müssen Einheit beschwören!
Sind sie erst gleich, dann ist es gut,
dann trauen sich andere nicht und sie haben Mut.
Als Gleiche sind sie stark und können sich wehren.
Gegen das Böse der Anderen mit scharfen Gewehren.
Als Gleiche gehen sie im Gleichschritt einher
und bilden ein großes mächtiges Heer.
Die bösen Anderen, die ungleichen Fremden,
die mit den anderen Hosen und Hemden,
die wollen wir nicht in unserem Land,
deshalb werden sie schnell wieder verbannt.
So lebt die Menschheit wie im großen Zoo,
und wird gefüttert, gemästet von irgendwo.
Im eigenen Käfig sind nur die Gleichen.
Die Fremden mussten in andere Käfige weichen.
„Oh Schreck, schau her, der Käfig ist offen.“
Oh je, jetzt sind alle total betroffen.
„Was machen wir jetzt mit den anderen Viren?
Mit den Menschen, die in Armut vor unserer Haustür erfrieren?“
Alle Gleichen rennen ungleich durcheinander.
Die Verwirrung ist groß, wie schaffen wirs jetzt miteinander?
„Was machen wir jetzt mit den offenen Türen im Zoo?“
Louise meint:
„Wir gehen einfach ins Nirgendwo.
Vielleicht finden wir dort ein Land,
in dem wir alle ungleich sind und doch verwandt.“
©Dr. Gertrud Müller

Einen schönen neue Woche

Gertrud Müller

Aufenthaltsbestimmungsrecht

In der Natur und der natürlichen Tierwelt halten sich die Lebewesen dort auf, wo es ihnen am besten geht und wo sie am besten gedeihen. In der menschlich gelenkten Welt werden Menschen und Tiere gehalten und verwaltet, in Orten und Staaten, in Kulturen und Religionen, in Arbeitswelten, in Industrie und Landwirtschaft, gebunden durch Grenzen, Gesetze, Verwandtschaftsbeziehungen, Geld und Marktchancen.
Wer sich wo auf der Welt aufhalten darf, ist durch Gesetze und Völkerrechtsabkommen genau geregelt. Derzeit sehen wir deutlich, welche Spannungen zwischen dieser natürlichen und der von Menschen geschaffenen Weltordnung entstehen. Es gibt Menschen, die vertrieben werden, und andere, die vor Kriegen fliehen. Es gibt die Eingesperrten in Gefängnissen, in Internierungs- und Flüchtlingslagern. Neuerdings werden Menschen wegen des Coronavirus zum Hausarrest verpflichtet.
Wir nennen uns zivilisierte Menschen und haben trotzdem mit dem Thema Freiheit und Ordnung noch große Probleme. Wir halten uns mehr an die menschlichen Gesetze als an die natürlichen Gesetze. Vielleicht können wir auch hier von der Natur lernen. Alle Zellen und Gestirne haben Handlungsspielräume und halten sich dennoch an die höhere Ordnung. Vielleicht haben wir diese höhere Ordnung einfach noch nicht verstanden. Vielleicht finden wir eines Tages eine Weltordnung, in der sich die Menschen dort aufhalten können, wo sie sich wohlfühlen und nicht dort, wo sie festgehalten werden.
Ich wünsche uns allen Freiheit und Geborgenheit, mit der wir uns wohlfühlen.
Eine schöne, neue Woche
Gertrud Müller