Die kindlichen Wünsche in der erwachsenen Seele

Diese Woche feierten wir Allerheiligen, Allerseelen, Halloween. Aus den ernsten Todesfesten der Germanen und Kelten, die eine jenseitige Welt als dunkle Macht ansahen, wurden seit dem Christentum eine Verehrung der Verstorbenen, die entweder heilig im Himmel sind oder als unvollendete Seelen den Dank ihrer Nachfahren erhalten. In der Moderne und der Kommerzkultur wurden aus den magisch-spirituellen Festen kindliche Gruselspiele und Süßigkeiten-Events.

Das menschlich-kindliche Wesen ist spürbar in der Angst der Menschen, in der Fehleranfälligkeit genauso wie in den großen Wünschen und Begierden. Wenn wir kleine Kinder sehen, die sich wünschen Superman zu sein, die sich wünschen ein Held ein Star zu sein, dann verstehen wir das. Sie fühlen sich klein und unbedeutend und wollen von Erwachsenen in ihrer Größe gesehen werden.

Sehen wir Staatsmänner/ Staatsfrauen, die sich verrennen in Ideen allwissend zu sein, allmächtig zu erscheinen und Größenwahn entwickeln, denken wir das sei verrückt. Als Erwachsene fällt es uns sehr schwer diese unbewussten kindlichen Wünsche in anderen Erwachsenen einzuordnen: Ein Staatsbürger, der bei kollektiven Verbrechen mitmacht hat Angst vor Gewalt und einen kindlichen Wunsch dazu zu gehören. Ein Angestellter, der hörig das tut was der Chef sagt, auch wenn es falsch ist, folgt seinem unerfüllten kindlichen Wünschen, vom Vater anerkannt zu sein.

Hitler, Stalin, Lenin folgten ihren kindlichen sadistischen Rachegefühlen, die durch grausame Erfahrungen in der Kindheit entstanden waren. Machtphantasien, der Wunsch alles beherrschen zu wollen und alles zu vernichten, was nicht ihrer Meinung ist, ist heute noch weit verbreitet in Staaten, Wirtschaft und Religionen.

Aber auch Mutter Teresa, Lady Di, Albert Einstein, Stephen Hawking und unzählige altruistische, weise und geniale Menschen folgten ihren kindlichen Wünschen und Träumen von einer besseren Welt.

Erwachsene mit kindlichen Träumen machten Menschheitsträume wahr: den Traum vom Fliegen, den Traum von Technik, von der Erkundung und Erforschung der Welt.  Auch ich kenne meine kindlichen Wünsche von der besseren Welt sehr gut: Als rothaariges, lebenslustiges, neugieriges, intelligentes, phantasiebegabtes und gutmütiges Kind stellte ich viele Fragen, ich ließ mich nicht so leicht einschüchtern und geriet immer wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit. Ich wurde ausgelacht, bestraft, als Hexe beschimpft, mir wurde Dummheit und Unfähigkeit unterstellt, weil ich an ein friedliches Zusammenleben auf diesem Planten glaube. Mehr und mehr entwickelte ich den Wunsch unauffällig zu sein. Gott sei Dank konnte ich schon als sehr junge Frau eine Psychoanalyse machen und erkannte, dass jeder Mensch lichte und dunkle Seiten in sich trägt. Jeder Mensch erfährt Liebe und Zuneigung und Verletzungen. Jeder Mensch muss aufpassen auf die lichten und die dunklen Seiten, die in der Kindheit erworben wurden.

Als Erwachsene spürte ich: ich will mich für Frieden, Freiheit und Gesundheit engagieren. Und ich erkannte so wie Sophie Scholl, Julian Assange oder so manche mutige Frau im Iran will ich nicht enden. Mein kindlicher und erwachsener Wunsch ist leben zu dürfen so wie ich bin. Und das wünsche ich mir auch für alle anderen Menschen. Ich schreibe Bücher, Blogs, engagiere mich im Alltag, ich mache jedoch keine große Werbung, glaube nicht unfehlbar zu sein und hüte mich vor unrealistischen Wünschen und Ängsten und achte auf friedliche Gedanken, auf mein Sprechen und Handeln.

Heute fragte mich eine Patientin nach meinem Buch „Machtspiele waren gestern“ Das Buch trifft sehr den Nerv der Zeit, auch wenn ich es schon 2019 veröffentlichte, noch vor der Coronazeit. Das Buch ist kein Bestseller geworden, ist wahrscheinlich auch gut so, vielleicht würden sich einige der great Player angesprochen fühlen und glauben mich bekämpfen und vernichten zu müssen.

Die unbewussten kindlichen Wünsche, Träume, Phantasien, Machtphantasien, Ängste und Aggressionen sind aufgeladen mit sehr hilfreichen und sehr gefährlichen Energien. Vielleicht ist das ein Teil der jenseitigen Welt, die uns teilweise so fremd, dunkel aber auch heilig mystisch und magisch erscheint. Wie viele Menschen wurden wohl hingerichtet, ermordet und gefoltert wegen kindlich-sadistischer Wünsche ihrer Mitmenschen.

Wie viel Gutes und Heldenhaftes entsteht auf der Welt auf Grund kindlicher Wünsche und Ideale, die in der kindlichen Erwachsenenseele weiterleben. Wie viel Lustiges und Groteskes erscheint auf der Weltbühne wegen kindlichem Übermut, der heute noch in Erwachsenen wohnt.

Ich vermute erst wenn wir uns unserer kindlichen Seelen bewusster werden, können wir wirklich erwachsen werden.

In diesem Sinne eine schöne neue Woche mit unseren kindlichen Seelen.

Dr. Gertrud Müller M.A.