Die staade Zeit

In dieser Woche stimmten mich zwei Äußerungen von kleinen Kindern nachdenklich. Ein Dreijähriger sagte: „Die Uhren sollten schlafen, dann müssten sich die Menschen nicht so beeilen“. „Ich möchte in Rente gehen“, meinte ein Vierjähriger und begründete seine Aussage damit, dass das Leben mit Arbeit zu anstrengend sei, das gelte auch für den Kindergarten, dieser sei ebenfalls wie Arbeit. Was sagen uns diese Kinder, welche Vorbilder geben wir ihnen?

Sind wir tatsächlich nur gestresst, getrieben, gehetzt, angefeuert, nie gut genug? Ist das wirklich das Leben, das wir führen möchten?
Immer noch besser, noch weiter, noch effektiver, noch schöner, noch reicher. Wer ist es, der uns da so treibt, zwingt, so herausfordert? Wer befiehlt uns in einer freien Gesellschaft einen Arbeitstakt, der krank macht? Wer gibt den Zeitdruck, den Perfektionismus vor, dem sich unsere westliche Welt in zerstörerischer Weise unterordnet?
Haben wir Angst vor Langeweile oder Ausgrenzung, vor Gewalt oder vor (sozialer) Verelendung?

Wir können die großen Systeme vielleicht nicht überblicken. Aber wir sind erwachsen und können nein zur Überforderung sagen. Wir können jeden Tag spüren, ob es gut für uns ist, was wir gerade machen, ob es hilfreich und sinnvoll ist, wie wir arbeiten, wie wir leben? Wenn wir unseren Alltag nicht mehr für sinnvoll empfinden, können wir auf die Suche gehen, was geändert werden kann, damit es uns und anderen besser geht.

Und bekanntlich finden wir was wir suchen.

Manchmal habe ich den Eindruck, wir Menschen resignieren und kapitulieren, wir passen uns an, verneigen uns vor fragwürdigen Obrigkeiten in einem vorauseilendem Gehorsam, wir laufen Erwartungen anderer hinterher, ohne zu reflektieren, ob es Sinn macht oder gut für uns ist. Vielleicht finden wir in der Adventszeit wieder Momente für uns selbst, Momente, in denen wir uns wichtigere Fragen stellen:
– Wie geht es mir als Mensch?
– Wie geht es unseren Mitmenschen?
– Lebe ich das Leben, das ich leben möchte?

In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine staade Zeit.
Gertrud Müller