Aussteigen

Aussteigen

Ich erinnere mich noch gut an die 80er Jahre. Waldsterben drohte, weltweit wurden immer mehr Atomkraftwerke gebaut, Radioaktivität und Atombomben machten den Menschen zunehmend Angst. Die Bedrohung durch atomare Weltkriege nahm genauso zu wie die Angst, dass das Erdöl und andere Ressourcen in der Zukunft nicht mehr ausreichen würden. Es entstanden erste grüne politische Bewegungen, Friedensdemonstrationen und Friedensinitiativen. Und immer mehr junge Menschen wurden „Aussteiger“, sie versuchten alternative Lebensformen umzusetzen. Der globale Run nach Reichtum und die Gier nach Macht nahm dennoch zu. Die Achtlosigkeit der Führungseliten und der mitlaufenden Massen tangierten die alternativen Aussteiger wenig. Das Leben wurde einfacher, praktischer, luxuriöser und die Horrorszenarien von Waldsterben, Ressourcenschwund und atomaren Weltkrieg schienen an Bedrohung zu verlieren und wurden von den Medien kaum mehr gezeigt. Geld, Börse, Wirtschaftswachstum und Wissenschaft waren die Maxime der modernen Welt. Jetzt 40 Jahre später tauchen all die verdrängten Probleme der 80er Jahre wieder auf. Und was machen wir jetzt? Aussteigen heute? Es ist kaum mehr möglich, in ein Land auszuwandern, wo noch paradiesische Zustände sein könnten. Einen friedlichen Ort zu finden ist schwierig. Die Menschen streiten über unterschiedliche Prinzipien, Vorurteile und Einstellungen, es wird demonstriert und Gegendemonstriert. Es werden Demonstrationen brutal beendet und danach die große Frage: Wer hat Schuld, wer hat wann, wo, wie angefangen?

In Orwells negativsten Visionen der 80er Jahre war die kollektive Überwachung harmlos gegen das, was heute an Überwachung installiert ist. Wir leben in einem streng kontrollierten Chaos, in dem alle irgendwie verwirrt umherirren und niemand weiß, wie es weitergeht. Ich denke wir können auch heute noch aussteigen, aussteigen aus dieser kollektiven Verwirrung. Aussteigen aus den eigenen Vorurteilen über den fremden Nachbarn, Aussteigen aus dem eigenen Meinungsbild uniformierter Polizisten. Aussteigen aus der Überzeugung, zu wissen, wie sich andere verhalten sollen; Aussteigen aus übler Nachrede und dem Geschwätz banaler 1001 Sorgen des Alltags. Und dann? Wenn wir ausgestiegen sind, können wir langsam anfangen wieder einzusteigen – in ein neues Leben. Die Geschichte erzähle ich im nächsten Blog und wenn die Welt noch steht, dann lesen meine treuen Leser sicher weiter.
Eine schöne neue Woche mit vielen Möglichkeiten mal auszusteigen.

Gertrud Müller