Als ich in der 3. Klasse war, kam der Stadtpfarrer zu uns in die Klasse. Er erlaubte uns, ihm Fragen zu stellen, die uns interessierten. Ich konnte schon als Kind nicht verstehen, warum sich Menschen so strengen Regeln wie Zölibat unterwarfen und diese Doppelmoral der Kirche nicht durchschauen. Deshalb fragte ich. Warum sind Sie Pfarrer geworden und geblieben?
Er antwortete: Pfarrer zu sein ist wie in einen Zug einsteigen, aus dem man nicht mehr aussteigt. Wie furchtbar dachte ich, dann ist ja die Lebensreise zu Ende. Ja, so ist es für viele, sie sind in ein Leben irgendwo eingestiegen und da bleiben sie sitzen, egal wohin der Zug fährt. Ich bin froh, dass Züge, in denen ich fahre, Bahnhöfe , zum umsteigen haben. Ich bin froh, dass ich auch überall mit meinem Radl hinfahren kann. Ich bin froh, dass ich nicht nur warte, wo mich der Lebenszug hin fährt sondern, dass ich selbst bestimme wo, wann und wie ich lebe. Für mich bedeutet Leben, jeden Tag in ein neues Leben einzusteigen und jeden Tag auch wieder aus diesem alten Leben aussteigen zu können. Wenn wir das Leben jeden Tag selbstbestimmt und neu leben und erleben, dann bleiben wir frisch, jung und lebendig, egal in welchem Alter.
Wenn wir das Leben als Reise verstehen, als Reise mit unendlichen Möglichkeiten, in dem wir durch verschiedene Zeiten, Welten, Räume, Möglichkeiten, Begegnungen, Kulturen, Weltanschauungen reisen, dann ist alles auf einmal viel interessanter, farbiger, unkomplizierter und fröhlicher.
Ich wünsche uns allen viel Spaß beim Reisen durchs Leben, beim Einsteigen und Aussteigen, beim Umsteigen, Radeln und Wandern. Und denken Sie immer daran, Reisende helfen sich gegenseitig, wenn sie in Nöten sind.
Eine schöne neue und reiselustige Woche
Gertrud Müller