Wann waren Sie das letzte Mal beseelt, von einer Blume, der Natur, einem Ausblick, einem Kinderlachen, einer rührenden Geste? Wann haben Sie das letzte Mal einen tief erfüllenden Glücksmoment erlebt? Wenn ich Patienten nach solchen Momenten fragen, erzählen Sie mir oft von Momenten, die Jahre zurück liegen.
Nach einer sehr schweren Krankheit gewöhnte ich mir vor vielen Jahren an Dankbarkeit zu üben, Freude zu spüren, ich lernte Glücksmomente zu erkennen und mehr zu genießen. Derzeit fällt mir diese Übung wieder schwerer: Viele düstere Nachrichten, die Ängste der Mitmenschen berühren mich, die eigene Hilflosigkeit und die Sorge um die Zukunft nehmen zeitweise wieder Raum ein in meinen Gedanken. Auch der beständige Kampf der Menschen belastet mich, jeder glaubt selbst die/der Gute zu sein und gleichzeitig erkennen „die Guten“ in den anderen „die Bösen/die Feinde“. Gerade diese Projektion führt zu schlimmster Zerstörung: Keiner der Beteiligten erkennt mehr beseelte Momente oder Glücksmomente, jeder der Beteiligten ist gefangen in den eigenen und kollektiven Feindbildern und Horrorvisionen. Traurig macht mich auch, dass viele Menschen heute die Begriffe Glück und Seele aus dem Wortschatz streichen wollen. Funktionalität, Effektivität, wissenschaftliche Beweisbarkeit, Wirtschaftlichkeit scheinen gegen die Existenz der Seele zu sprechen und gegen die Wichtigkeit von tiefen Glücksgefühlen. Die Zunahme der psychischen Erkrankungen, psychiatrischen Notfällen, Amokläufen und Umweltzerstörung können auch Vorboten, Vorahnungen sein, dass wir uns als seelenlose und glücklose Existenzen selbst zugrunde richten und die beseelte,glücklich machende Umwelt zerstören. Ich werde mich weiterhin um ein beseeltes und glückliches Leben kümmern. Ich selbst bin seitdem viel gesünder und ich beobachte, dass sich der Gesundheitszustand meiner Patienten und Klienten deutlich stabilisiert, wenn sie sich mehr an ihrem seelischen Gleichgewicht orientieren und häufiger Glücksmomente erleben. Als Negativbeispiel habe ich hier einen Link eingefügt, wie eine seelenlose Zukunft aussehen kann.
Wir können uns jeden Tag entscheiden, will ich heute auf beseelte Momente und glückliche Erfahrungen achten, oder lasse ich mich wieder berieseln und treiben von Dogmen der Leistung, der Effektivität, von gut/böse Schemata und Horrorbildern. Es ist nicht so einfach sich immer wieder aufs Glücklichsein und ein beseeltes Leben zu fokussieren. Es ist ein Training, wie wir Muskeln trainieren. Irgendwann hat sich das Gehirn daran gewöhnt und die eigene Seele spürt wieder Glückmomente und lässt eine beseelte Welt wieder zu.
Ich wünsche uns allen viel Freude und Ausdauer bei der Suche nach Glücksquellen und bei der Gestaltung eines glücklichen und beseelten Lebens.
Gertrud Müller